Unsere neue Erde ---- Die 5. Dimension

Da hatte ich eine ganz normale schamanische Reise machen wollen. Einfach, weil ich das Gefühl hatte, es stünde mal wieder eine an. Ich hatte kein klares Anliegen, wohl aber schwirrten mir die Gebilde der Heiligen Geometrie durch den Kopf, weil ich mich seit einigen Tagen wieder damit beschäftigt hatte.
Doch zunächst einmal hatte ich das Bedürfnis, zu tönen, jenes ganz besondere Tönen, das Todd Ovokaitys als Pinealtoning bezeichnet. Und dann wollten auch noch Karten gezogen werden.
Ich habe es schon seit Längerem aufgegeben, in solchen Momenten mich zu fragen, was das soll. Noch immer hat sich hinterher herausgestellt, dass es einen besonderen Grund hatte. Also folgte ich auch dieses Mal dem Impuls. Die beiden Karten, die ich zog, stammen von den Energien von Sirius und Aldebaran. Die Sirius-Karte nannte sich Abgrenzung/Selbstzentrierung, die von Aldebaran Veränderung. Die Siriuskarte wollte in die linke Hand, die von Aldebaran auf die Herz/Thymus-Region und in die rechte Hand nahm ich einen Selenit-Stab. Dazu lief die CD: The God Name.
Was dann folgte war unbeschreiblich – und doch wusste ich, dass es meine Aufgabe war, es zu beschreiben. Ich nahm vieles gleichzeitig wahr, dann plötzlich fielen weitere Informationen wie Mosaiksteinchen in meinen Schoß. Als ich dann anfing zu schreiben, sortierten sich diese Steinchen und wurden zu Wörtern, Sätzen und Abschnitten. Und es wurde klar, dass daraus ein kleines Büchlein entstehen wollte.
Ich habe noch keine Ahnung, warum das so ist. Ich habe auch keine Ahnung, ob das irgendjemand interessieren wird. Nun denn – nehme sich jeder daraus, der in irgendeiner Form Resonanz fühlt.

Prolog

Ich befinde mich auf einer Liege in der Mitte einer Halle, deren Aussehen sich ständig verändert. Um mich herum stehen Wesen, die mir alle vertraut sind. Einige kenne ich mit Namen, von einigen weiß ich nur, wer sie sind. Dahinter sind noch weitere, die ich mehr fühle als sehe.
Mein Körper ist vollkommen entspannt. Ich lausche dem Gesang, fühle die Hände der Wesen und spüre, dass sie an meinem Körper arbeiten. Einzelne Teile werden ausgetauscht, dann spüre ich anschließend ein eigentümliches Vibrieren. Manches wird glatt gestrichen, anderes entfernt. Die Entspannung vertieft sich.
Und dann sehe ich. Es sind sechs Menschen, die ich schon kenne. Sie zeigen mir, dass sie noch Botschaften für mich haben. Weit über das hinaus, was ich schon von ihnen wusste. Ich werde sie einzeln begrüßen und bekannt machen:

Jacques
Er kam 1190 im Tal des Verdon, in der Provence zur Welt. Er war der jüngere Sohn eines Mannes aus dem niederen Adel. Jacques besuchte die Lateinschule, lernte dann bei einem Troubadour und sprach sowohl das Provenzalisch seiner Heimat als auch das der Troubadoure und natürlich konnte er auch Latein. Nach einem einschneidenden Erlebnis schloss er sich den Tempelrittern an, von denen er auch in deren inneren Kreis aufgenommen wurde. Der Mann, der ihn einweihte, war der Troubadour, bei dem er schon einmal gelernt hatte.
Jacques lebte mehrere Jahre in der Templerburg in Akkon, folgte dann aber einem Ruf zum Jakobspfad, dort lebte er in Santo Domingo de la Calzada. Über viele Jahre beschützte er – zusammen mit seinem Freund Ramón – die Pilger. Im Jahr 1250 verließ er seinen Körper.

Giorgio
Giorgio erblickte 1477 als unehelicher Sohn der Köchin der Barbarellis und eines Neffen des Hausherrn das Licht der Welt. Schon bald erkannte man sein Zeichentalent und brachte ihn nach Venedig, wo er bei Bellini in die Lehre ging. 1510 erlag den Folgen der Pest.


André
Er war der uneheliche Sohn einer Näherin und eines Marquis. Er kam 1735 in der Vendee zur Welt, ging als junger Mann nach Paris und lebte dort als Journalist. Über Jahre hatte er Kontakt zu den Freimaurern, für die er Artikel schrieb. 1779 schied er freiwillig aus dem Leben, an den Folgen eines Giftes, das er sich besorgt hatte.

Tamar
Sie kam 1310 in einem kleinen Dorf im heutigen Kosovo zur Welt. Ihre Mutter starb bei ihrer Geburt. Der Vater war schon kurz vorher durch einen Überfall von ihnen getrennt worden. Die Mutter – ebenfalls eine Tamar – stammte aus der Kolchis, dem heutigen Georgien, der Vater war ein Magyar, aus dem heutigen Ungarn.
Als sie fünfzehn Jahre zählte, traf sie ihren Vater wieder und ging mit ihm in die Heimat ihrer Mutter. Nach dem Tod des Vaters kehrte sie auf den Balkan zurück, auf diesem Weg halfen ihr Zigeuner, die sie in ihre Lehren einweihten.
1345 kam sie in den Flammen ihres Hauses um, das von Jugendlichen angezündet worden war.

Sviga
Sie lebte in der Nähe des heutigen Oslo, wo sie 430 zur Welt kam. Sie erhielt eine schamanische Ausbildung innerhalb ihres Stammes, wurde als junges Mädchen aber auch von einer fremden Frau aus dem hohen Norden unterrichtet.
Diese Frau stammte von Menschen ab, deren heutige Nachfahren als Samen bezeichnet werden. Sviga vereinte das Wissen ihres Volkes mit dem ihrer fremden Lehrerin. 503 schied sie sanft aus dem Leben.

Gotlindis
Sie kam 801 in diese Welt. Ihre Mutter war Christin und hatte auch ihre Kinder taufen lassen. Doch Gotlindis wurde von einer Cousine ihres Vaters, die der Großen Göttin diente, in die alten Lehren eingeführt.
Als junge Frau wurde sie von ihrer Mutter in ein Kloster gegeben, um dort als Nonne zu leben (Kloster Odilienberg im Elsass), aus dem sie aber bald floh. 879 starb sie.


Ich glaubte sie alle zu kennen, doch dies war nur die halbe Wahrheit. So, wie wir uns auch nur an Teile unseres jetzigen Lebens erinnern, so geht es auch mit den Leben unserer anderen Ausdrücke. Wir sehen nicht alles auf einmal. Es zeigt sich immer das, was gerade ansteht. Manchmal sind das Blitzlichter und manchmal kommt es geballt, wie in dieser ganz besonderen Reise.
Es ist nicht ganz leicht, das zu beschreiben, was ich fast alles gleichzeitig wahrgenommen habe. Es war ein Sehen, Hören, Spüren, Erkennen und Wissen. Dafür gibt es keine Worte.
Doch gerade das habe ich mir zur Aufgabe gemacht: für dieses Unbeschreibliche Worte zu finden.


Die Wesen, die meinen Körper behandeln, streicheln, verändern, liebkosen, sie sind alle auch ich. Denn es sind die Ausdrücke meiner Seele, die in anderen Dimensionen, auf anderen Ebenen existieren, vor allem auf Sirius und Aldebaran. Zwischen ihnen befinden sich diese sechs, die sehr viel irdischer wirken und mir noch viel vertrauter als die anderen sind. Sie zeigen mir, dass sie in ihrem Leben wichtige Lehren erhalten haben – wichtig für sie aber auch wichtig für mich. Sie stehen jetzt im Kreis um mich herum und lächeln mich an. Dann nimmt mich einer nach dem anderen mit auf eine Reise.
Jacques zeigt mir, was er von jenem Armand – dem Templer und Troubadour – lernen durfte und welche Erkenntnisse ihm daraus erwachsen sind. Giorgione weiht mich in das Geheimnis ein, wie seine Bilder entstanden und was er selbst daraus gelernt hat. André führt mich zu den Freimaurern und schildert mir, was er daraus gelernt hat.
Tamar darf ich beobachten, wie sie von einem Zigeuner lernt. Er weiht sie in Wissen ein, das eigentlich den männlichen Zigeunern vorbehalten war, doch er gibt ihr zu verstehen, dass dieses Wissen für sie wichtig ist, weit über ihr Leben als Tamar hinaus.
Sviga führt mich zu einer fremd wirkenden Frau. Von dieser lernte sie, in die Dunkelheit zu gehen und sich den Schatten zu stellen. Doch es geht noch weit darüber hinaus.
Und Gotlindis, letztendlich, hatte weit mehr gelernt, als nur einen Kräutergarten anzulegen und die Ernte nutzbringend zu verwenden. Sie war in die tiefsten Geheimnisse der Großen Göttin eingeweiht worden, und auch wenn sie dieses Wissen damals nicht weitergeben konnte, so hatte sie es doch bewahrt – für mich bewahrt.

Troubadour und Templer

Armand lehrte Jacques in mehreren Stufen. Als erstes lernte er die besondere Sprache, die die Troubadoure in ihren Liedern verwendeten. Damals war es wichtig, genau die richtigen Wörter zu benutzen, sie in einem bestimmten Maß zu setzen und dazu die rechten Töne zu finden. Jacques lernte die einzelnen Teile, er lernte, sie zusammenzusetzen und dann alles loszulassen – nun darauf vertrauend, dass Wörter und Töne aus sich kämen.
Wenn er es notiert hatte, so überprüfte er, ob es den gelernten Regeln entsprach, und korrigierte, wo dies nicht der Fall war. Die alten Lieder, sein Herz und sein Verstand waren dabei sein Maßstab. Als seine große Liebe einen anderen heiratete – nämlich seinen Freund Ramón – war dies der Ritterschlag für ihn als Troubadour, auch wenn ihm das anfangs nicht bewusst war.
Als er Jahre später die beiden – Ramón und Ines – wieder traf und mit Ramón in Streit geriet, glaubte er, dieses Wissen verletzt zu haben, vor allem da Ines tödlich verwundet wurde. So meldete er sich bei den Templern – in seinen Augen, um seine Schuld zu sühnen. Doch zu seinem Erstaunen wurde er in die inneren Lehren der Templer eingeweiht – wieder von Armand, der nicht nur Troubadour sondern auch Templer war.
Armand zeigte ihm, dass es keine Schuld gab, denn alles war so geschehen, wie es geschehen sollte. Alles entsprach dem großen Plan. Und auch der Streit mit Ramón und Ines Tod gehörten zu der Einweihung.
Voller Staunen nahm er die Bilder seiner Ausdrücke wahr, durfte er die Verbindung zu den Sternen erkennen. Mit Freude aber auch mit Trauer lernte er, dass es dieses Wissen zu bewahren galt. In einer Zeit, in der es gefährlich war, Wissen zu haben und weiterzugeben. Die große Religion des Abendlandes wollte nicht, dass der einzelne Mensch wisse. Dogmatisch wurde festgelegt, was der Mensch zu glauben habe. Doch Jacques erfuhr, dass auch das zu dem großen Plan gehörte.
Als er sich mit Armand auf seine Zeit in Akkon vorbereitete, zeigte ihm sein Lehrer, wie er sich selbst mit diesem Wissen verbinden konnte. Auch lehrte er ihn, was er von den Sternenwegen erfahren musste. Erst als Jacques mit Ramón nach Santo Domingo de la Calzada ging, erkannte er, warum Armand ihn dies gelehrt hatte. Denn dieser ganz besondere Weg, der von der Kirche als Pilgerreise bezeichnet wurde, war im Grunde ein Sternenweg.
Jacques hatte gelernt, wie er sich an den einzelnen Stellen des Weges mit seinen Sternengeschwistern verbinden konnte. Jeder besondere Ort dieses Weges lehrte ihn etwas Neues. Und das Wissen um die Hilfe, die ihm seine Geschwister aus dem All gewährten, gab ihm die Kraft, seine große Aufgabe leichten Herzens und mit Heiterkeit auszuführen.
Diesem Wissen verdankte er es auch, dass er wusste, wann dieses Leben zu Ende sein würde; und als es so weit war, zeigten sie ihm, wie er leicht und ohne Schmerzen seinen Körper verlassen konnte.


Jacques lag auf der blanken Erde. Zwei Tage zuvor war er zusammen mit Armand hier angekommen. Er kannte die Landschaft nicht, doch sie war ihm unendlich vertraut und das war nicht nur, weil sie ihn ein wenig an seine geliebte Heimat erinnerte.
Sie hatten die Dordogne überquert und lagerten nun in einem Seitental. Es war ein stiller, heißer Sommertag, doch hier, in der Nähe des Flusses, wehte ein kühler, leiser Wind. Unterwegs hatte Armand ihm von den Symbolen erzählt, die er nun nicht nur lernen sondern erfahren und erleben sollte.
Seltsame Gebilde waren das: Spiralen, Sonnen, Schlangen und andere gewundene Zeichen und dann kantige, eckige, Quadrate, Rechtecke, Vielecke. Und Armand hatte erklärt, dass die runden, gebogenen Formen weiblicher Natur seien und die geraden, kantigen männlicher.
„Erst wenn du beides in einer bestimmten Ordnung zusammengibst, wirken sie. Diese unsere Welt beruht auf Trennung und du kannst erst dann etwas erschaffen, wenn du das Getrennte wieder zusammengibst. Wir versuchen es in allen möglichen Varianten. Wenn ein Mann und eine Frau ein Kind zeugen, so ist dies eine davon. Wenn wir unsere Lieder erschaffen, eine weitere, denn die Worte sind männlich, die Töne weiblich. Wenn du diese Zeichen berührst, so verbindest du dich ebenfalls mit dem Urweiblichen und Urmännlichen. Und da wir alle in uns die Erinnerung daran tragen, wirken sie. Meine Erklärungen sind männlicher Art, wenn ich die Zeichen auf deinen Körper gebe, so ist das der weibliche Weg. Doch wir gehen den Weg, der beides miteinander verbindet.“
Und nun lag er hier. Mehrer Zeichen auf seinem Körper und welche neben ihm. Zum Teil auf Papier gezeichnet, einige hatte Armand mit Ocker auf seinen Körper direkt aufgemalt.
Armand saß etwas abseits von ihm und hatte einen leisen, eintönigen Gesang angestimmt.
Die Bilder verwischten sich, Jacques nahm kaum noch Armands Stimme wahr, es war eher wie das Rieseln eines Baches im Hintergrund. Aber sein ganzer Körper vibrierte. Er glaubte, jede einzelne Stelle seines Körpers zu spüren, wie Blut an die Stellen floss und wieder wegströmte, wie das Wasser des Meeres. Und dann kamen die Bilder, seltsame Bilder.
Als erstes bemerkte er ein Gebäude, wie eine Tempelanlage, der untere Teil rund und von runden Säulen getragen. Darüber ein eckiger, kantiger Aufbau. „Rund ist weiblich, eckig männlich“, glaubte er Armands Stimme zu hören.
Dann trat aus dem Tempel ein Wesen. Er konnte nicht erkennen, ob ein Mann oder eine Frau, denn das Wesen war groß, blond, mit schulterlangen Haaren und glattem Gesicht. Das Gewand war lang und weiß. Das Wesen richtete seine intensiv blauen Augen auf Jacques und begrüßte ihn.
Jacques wunderte sich schon gar nicht mehr, dass er dessen Sprache verstehen konnte, auch wenn er nicht zu sagen vermocht hätte, welche Sprache es war.
„Ich grüße dich Jacques. Ich habe auf die gewartet.“
„Wer bist du?“
„Nenne mich Barana. Ich bin dein Führer für die nächste Zeit. Aber ich bin auch du.“
„Oh, wann hast du gelebt?“
„In Atlantis.“
„Oh, jene Insel im Westen, von der niemand zu sprechen wagt?“
„Niemand? Wir sprechen doch jetzt darüber.“ Barana lachte leise.
„Armand hat mir davon erzählt. Aber er sagte, ich solle darüber schweigen.“
„Du lebst in einer Zeit, in der nur wenige das alte Wissen bewahren. Die anderen dürfen nichts davon erfahren, das ist richtig, sonst könnten sie nicht ihre Aufgaben erfüllen.
„Ach, so ist das“, murmelte Jacques.
„Ganz genau. – Magst du mir folgen?“ Barana wies zu dem Tempel.
Jacques nickte nur.
„So komm. Ich werde dich unterrichten. Alles, was ich weiß, werde ich an dich weitergeben. Deine Aufgabe ist es, dieses Wissen zu leben, ohne darüber zu sprechen. Und es – so es dir möglich ist – in Liedern und Gedichten festzuhalten. Dies Letztere ist für einige weinige Menschen die Hauptaufgabe.“
„Und Armand?“
„Seine Aufgabe ist es, Menschen wie dich zu finden, zu unterrichten und zu uns zu führen.“
Jacques nickte wieder. „Kannte ich Armand schon in Atlantis?“
Barana lächelte, dann wies er auf eine zweite Gestalt, die aus dem Tempel getreten war. „Dies ist Aruna. Armands Ausdruck in unserer Welt.“
Jetzt konnte Jacques erkennen, dass Barana wohl ein Mann war, denn Aruna war – so glaubte er nun – eindeutig eine Frau.
„So eindeutig ist das gar nicht“, antwortete Barana auf seine Gedanken. „Und ja, ich kann deine Gedanken lesen – allein deshalb, weil ich auch du bin.“
Dann folgte Jacques den beiden in den Tempel.

Ich konnte immer wieder, wie in Blitzlichtern, erkennen, was Jacques sah und was Armand mit ihm machte. Erstaunt erkannte ich die Figuren der Heiligen Geometrie, die platonischen Körper, Quadrate, Dreiecke, Fünf- und Sechsecke, die Blume des Lebens. Und immer wieder Spiralen und Schlangen. Den beiden war anscheinend nicht bewusst, wer alles schon diese Zeichen genutzt hatte und Jacques hatte keine Ahnung, warum ihn dieser Ort im Nebental der Dordogne so vertraut war. Er lag genau über der Höhle von Lascaux. Ich wusste, dass darunter, unter Jacques, ein gemeinsamer Ausdruck von uns, nämlich Lanka, gelebt hatte. Ich sah regelrecht die Kraft, die von Lanka und seiner Arbeit zu Jacques strömte, ohne dass der auch nur ahnte, was seinen Körper so zum Vibrieren brachte. Ich sah, dass jede einzelne Zelle von Jacques Körper an zu singen fing, er wusste nicht einmal, was Körperzellen sind. Und mir kam eine Ahnung, wie viel ich spürte und tat, ohne zu wissen, was da geschah. Ich muss es gar nicht wissen, denn es wirkt trotzdem. Das zeigte mir Jacques. Und ich erkannte, dass dies eines der Geschenke war, die Jacques mir machte.
Armand und Jacques wussten, dass sie sich nicht zum ersten Mal begegneten. Ihre Ausdrücke in Atlantis hatten sie kennen gelernt, da sie ihre Führer waren. Auch Armand hatte keine Ahnung von Lanka und er wusste auch nicht, dass er selbst damals Lankas Schwester Darda war. Zwar weiß ich mehr als Jacques und Armand, aber wieder wurde mir bewusst, dass auch ich nicht alle Berührungen kannte, die Armand und Jacques, Barana und Aruna, ja unsere beiden Seelen betrafen. Und wieder erkannte ich, dass ich es gar nicht wissen musste. Das was wichtig ist, zeigt sich genau dann, wenn es richtig ist.
Außerdem nahm ich, eher nebulös, wahr, dass in den alten Liedern der Troubadoure Wissen verborgen ist. Dies mit dem Verstand zu erkennen, ist der männliche Weg. Es zu spüren, wenn man sie liest oder hört, der weibliche. Und wenn es denn in diesem Leben für mich wichtig ist, wird beides geschehen.

Die Welt der Farben

Anfangs waren es nur die Bilder gewesen, die ihn so begeistert und die den Wunsch ausgelöst hatten, ebenfalls so malen zu können. Doch als Giorgio mehr und mehr lernte, waren es vor allem die Farben, die ihn fast in einen Rausch beförderten. Manchmal ertappte er sich selbst bei dem Wunsch, sie in den Mund zu stecken, um ihren Geschmack zu erfahren, oder sie in ihrem puren Zustand auf seiner Haut zu verteilen. Er tat es dann doch nicht, aus Scheu vor den anderen, die zusammen mit ihm in der Werkstatt des Meisters lernten. Er spürte, dass da mehr war, als er hier lernen würde. Aber zaghafte Versuche, in Gesprächen herauszufinden, ob einige der anderen Lehrlinge ähnliche Gefühle hatten, wurden im Keim erstickt. Sie verstanden gar nicht, was er wollte.
Es wurde erst leichter für ihn, als er unbeobachtet mit den jungen Herren reden konnte, die die Bilder bestellten und bezahlten oder im Auftrag ihrer Väter kamen. Sie machten ihn mit Büchern bekannt, die ihm noch nicht begegnet waren. Alte Schriften der Griechen und Römer, Werke von Ovid, Vergil, Homer und noch vielen anderen. Und er lauschte aufmerksam dem, was sie davon zu erzählen wussten. Immer wieder forderten sie ihn auf, zu ihnen zu kommen, denn sie liebten sein Lautespiel, seinen wachen Geist, seinen Sinn für Farben und seine Fragen. Zwar konnten sie nicht alles beantworten, aber er war glücklich, dass er wenigstens einige Antworten erhielt.
Manchmal spielte er mit Formen und Farben. Das konnte er jetzt erst tun, da er ein eigenes Atelier hatte, zwar zusammen mit einem anderen Maler, aber das war immer noch besser als die kleine Stelle in dem riesigen Raum des Meisters. Und oft genug, wenn er bestimmte Formen und Farben zusammenfügte, spürte er einen Sog. Dann riss es ihn förmlich in eine andere Welt. Anschließend staunte er dann, was er da gemalt hatte.
In der ersten Zeit hatte er Papier benutzt, denn Leinwand oder Holz war ihm zu kostbar erschienen für seine Spielereien. Doch bald entdeckten seine reichen Freunde diese kleinen Versuche und kauften sie ihm ab, baten um Ähnliches auf Holz und Leinwand. Ein paar Mal war ein erzürnter Vater bei ihm erschienen, nannte seine Werke blasphemisch, vom Teufel beeinflusst. Und Giorgio wunderte sich. Er sah sich seine Werke daraufhin genauer an. Zu offensichtlich waren sie anders als alles, was es bisher gegeben hatte. Und so begann er, die Formen und Farben zu verstecken, er stellte sie in größere Zusammenhänge. Wer die Bilder oberflächlich betrachtete, sah darauf Menschen und Landschaften und nur, wer genauer hinsah, bemerkte, dass da noch anderes war. Seine jungen Freunde verstanden ihn, sie zeigten sich oft lachend, was sie entdeckten, und er ließ sie gewähren. Sie würden ihn nicht verraten. Manchmal fragte er sich, was es da überhaupt zu verraten gab, denn er wusste es selbst nicht. Er wusste nur, dass in seinen Bildern Botschaften waren.
Erst als er Leonardo begegnete, verstand er einiges – aber noch längst nicht alles. Die einzige, mit der er darüber sprach, war seine Geliebte Beatrice. Sie war ihm von Anfang an unendlich vertraut, auch wenn er nicht wusste, warum.


Es sollte ein neues Bild werden. Es war wie immer, und doch war alles anders. Sein Auftraggeber hatte ihm vollkommen freie Hand gelassen. Schon seit einiger Zeit spukte ein Bild in seinem Kopf herum; wenn er ehrlich war, waren es mehrere, wie Mosaiksteinchen, die sich noch nicht so recht zu dem Gesamtbild ordnen wollten. Er sah eine nackte Frau, die einen Säugling stillte, Mauern, Zylinder und Wasser. Eine zweite Figur schien ständig ihre Gestalt zu wandeln. Und über allem dräute ein seltsam dunkler Himmel, obgleich die Szene im Vordergrund hell beleuchtet war. Und wo all die eigentümlichen Figuren und Formen hinsollten, wusste er auch noch nicht. Trotzdem begann er mit dem Bild. Wie immer, wenn er die Farben mischte, kamen diese wundervolle Ruhe und das Vertrauen, dass alles seinen Weg auf das Bild finden würde.
Immer wieder unterbrach er – nämlich dann, wenn der Strom der Bilder abriss. Manches Mal machte er am folgenden Tag weiter, aber fast genau so häufig blieb das Bild mehrere Tage unberührt. Als ein Gewitter über Venedig zuckte, fand der Blitz einen Weg in dieses eigentümliche Bild. Die linke Gestalt war endlich zu einem jungen Mann verharrt, der einen Stecken in der rechten Hand hält. Für einen Moment hatte Giorgio das Gefühl, dies sei er selbst. Und auf das Dach eines der Häuser fand ein Storch seinen Weg.
Giorgio schüttelte immer wieder den Kopf. Zwar hatte er oft während des Malens eine Ahnung, was dies alles bedeutete, doch in dem Moment, da er fertig war, war das Wissen verschwunden. Nur eine leise Ahnung blieb zurück, und die Gewissheit, dass in diesem Bild nicht nur eine Botschaft sondern viele sind.


Ich hatte schon einiges zu dem Bild erfahren, das heute „Das Gewitter“ genannt wird. Aber mir schien, dass da noch mehr war. So wie Giorgio es ja auch wahrgenommen hat. Mir war bewusst, dass auch er weiche, weibliche runde Linien mit harten männlichen verbunden hatte. Es war in den Bauwerken zu sehen, bei diesen zwei eigentümlichen Zylindern, bei der Brücke, die Frau scheint nur aus runden Linien zu bestehen, während der Mann mit dem Stecken zumindest eine glatte, gerade Linie hält. Aber was war mit dem Wasser, und den eigentümlichen Steinen im Vordergrund? Es würde sich ganz bestimmt lohnen, sich dies einmal genauer anzusehen.


Es fühlt sich ganz seltsam an. Ich sehe das Bild und gleichzeitig bin ich in dem Bild. Die Frau mit dem Säugling betrachtet mich nachdenklich, dann lächelt sie. „Weißt du, wer das ist?“. Sie zeigt auf das Kind an ihrer Brust. Ich verneine.
„Er dort“, und sie weist auf den Mann mit dem Stecken. „Und der da steht, ist niemand anders als der Maler und letztendlich bist du es.“ Sie lächelt wieder und wirkt wie eine Sphinx. „Ihr habt vergessen, dass ihr euch aus euch selbst heraus erschaffen könnt. Alles, was ihr dazu benötigt, besitzt ihr schon. Aber ihr habt es versteckt und jetzt sucht ihr, weil ihr es finden wollt. Anstatt darauf zu vertrauen, dass es zu euch kommt. – Wie dieses Kind zu mir.“ Sie lächelt wieder. Dann weist sie auf den Blitz und den Storch. „Vergiss die beiden nicht.“
Ich würde ihr gerne Fragen stellen, doch nun blickt sie wieder durch mich hindurch, als sei sie nur ein Bild. Was hat sie damit gemeint, dass ich Blitz und Storch nicht vergessen soll?
Mir fällt auf, dass dies weiße Gegenstände in dem Bild sind: der Blitz, der Storch, der Umhang und das Tuch der Frau, das Hemd des Mannes – und die Zylinder. Dann bilde ich mir ein, ein leises Lachen zu hören.
„Das ist kein Unwetter“, höre ich dann. „Wo ist der Regen?“
Ja, das hatte ich mich auch schon öfter gefragt. Und nun habe ich mehr Fragen als vorher. Anderseits weiß ich nun, dass Giorgios Bilder reden. Zumindest tun sie das mit mir.


Jetzt weiß ich zwar etwas mehr, aber was ist mit dem Wasser, was mit den seltsamen Figuren, die in den Steinen versteckt sind? Aber hat mich nicht Jacques gelehrt, dass alles dann kommt, wenn die rechte Zeit ist – und nicht, wenn ich es mir wünsche.
Der Blitz erscheint mir wie eine Botschaft aus anderen Sphären. Er ist der Katalysator, dass sich etwas manifestieren kann, was vorher nicht da war. Mehr denn je wünsche ich mir, das Bild im Original zu sehen. Nun, wenn es sein soll, führt mich mein Weg nach Venedig.
Und nun wende ich mich dem zweiten Bild zu, das mir etwas sagen will.

Von allen Bildern, die Giorgio gemalt hat, fasziniert es mich am meisten. Und ich kann nicht sagen, ob es die drei Männer sind, oder die delikate Zusammenstellung der Farben ihrer Gewänder oder die geheimnisvolle Felswand am linken Bildrand.
Was hat man nicht alles in diesen drei Gestalten gesehen: Philosophen, Vertreter der drei Religionen, die Heiligen drei Könige und noch vieles mehr. Ich habe mich schon immer gefragt, warum eine Möglichkeit eine weitere unbedingt ausschließen muss. Und wie so oft bei Giorgio habe ich das Gefühl, dass die Farben etwas zu bedeuten haben – dieses tiefe Grün, das noch satter wirkt, weil es mit der blendenden Weiße des Oberteils kontrastiert. Das sanfte und doch so leuchtende Rot bei dem mittleren Mann. Und wie gewagt, dies mit einem hellen Blau abzusetzen, das schon leicht ins Fliederfarbene gleitet. Und dann dieses Honiggelb bei dem alten Mann, mal heller und mal dunkler. Hier kommt mich fast die gleiche Lust wie Giorgio an, die Farben zu schmecken.
Und dann diese geheimnisvollen Zeichen: der Gegenstand in der Hand des jungen, die exotischen Verzierungen am Gewand des mittleren und – Krönung von allem – dieser Papyrus in der Hand des alten Mannes. Wenn ich lange genug auf das Bild schaue, sehe ich plötzlich Verbindungen: zu den Sternen, zu alten Wegen, zu Bauwerken, zu Zahlen und Gedankengebäuden – und ja, die Philosophie spielt hier auch eine Rolle – aber nur eine unter vielen.


Ich bin plötzlich mitten in diesem Bild und sehe von dort aus, wie Giorgio es entstehen lässt. Ein faszinierender Blickwinkel. Doch was tut er da? Er übermalt Formen und Figuren, die ihm zu deutlich hervortraten. Nun sind sie verborgen in der Felsenwand. Nur das seltsame Gesicht ganz oben links belässt er, als wolle er dem Betrachter zeigen: da ist noch mehr.
Für einen Moment wünsche ich mir einen Röntgenblick, doch der würde auch nicht all zuviel enthüllen. Denn die Figuren sind nicht voll ausgemalt, sie waren nur angedeutet. War ihm bewusst, was er da malte? Oder erschrak er, als er sah, was da entstanden war? Fragen über Fragen – wieder einmal.


Giorgio stand auf der Brücke und starrte in das Wasser des Canale Grande. Die Stimme eines Mannes schreckte ihn hoch.
„Dich wollte ich sprechen.“
Er drehte sich um und erschrak wieder, dieses Mal erschütterte es ihn geradezu. Der alte Mann, der da vor ihm stand, war das komplette Ebenbild dessen, den er vorhin gemalt hatte.
„Was hast du?“, fragte der Alte lächelnd.
„Wer bist du?“
„Ein Freund. Leonardo hat mich geschickt.“
„Leonardo aus Vinci?“
„Ja.“
„Dann komm. Ich möchte dir etwas zeigen.“ Der junge Maler packte den Alten am Arm und zog ihn zu seinem Haus, führte ihn in sein Atelier und hin zu dem Bild, das gerade fertig geworden war – was man bei Giorgio fertig nennen konnte. „Schau“, Giorgio wies auf den alten Mann am rechten Bildrand.
Doch der Alte neben ihm lächelte nur. „Ich wusste, dass wir uns kennen. Hast du mich im Traum gesehen?“
„Oh, du meinst …“, Giorgio zögerte.
„Oder hattest du jemanden, der dir gesessen hat?“
„Nein. Es hat sich von selbst gemalt – wie immer“, flüsterte er.
Der Alte nickte, dann trat er näher an das Bild. „Warum hast du die Informationen versteckt?“
„Ich bin doch nicht lebensmüde“, Giorgio starrte den alten Mann an. „Und wieso siehst du sie?“
„Weil ich sie kenne. Ich soll dir etwas dazu sagen, doch anscheinend weißt du schon Bescheid.“
„Nichts weiß ich. Sie finden ihren Weg auf die Leinwand. Ich weiß nicht wie. Und ich habe keine Ahnung, was sie bedeuten. Aber ich weiß, dass es nicht gut täte, wenn das zu viele Menschen deutlich sehen würden.“
„Ach, mein Junge. Die meisten sind blind. Aber es wird eine Zeit kommen …“, er hielt inne, dann blickte er auf das Papier in der Hand des Alten, der wie sein Spiegelbild wirkte.
„Das ist gut, sehr gut. Das sind Leonardos Informationen.“
„Ja.“
Der Alte drehte sich lächelnd um. „Willst du nicht mehr dazu wissen?“
Giorgio blickte ihn einen Moment zweifelnd an, dann entspannte er sich. „Und wer will mich lehren? Du?“
„Ja. Wenn du bereit bist.“
„Ich bin bereit. Aber beantworte mir meine Frage von vorhin. Wer bist du? Oder darfst du es nicht sagen?“
„Nenne mich Bertrand. Das ist nicht mein wirklicher Name. Aber der tut nichts zur Sache. Ich stamme aus der Provence, aber ich lebe immer wieder an anderen Orten, wie ein Weltenwanderer. Und das bin ich auch. Ich gehöre zur Bruderschaft, ebenso wie Leonardo.“
„Welche Bruderschaft?“
„Wir haben keinen Namen mehr. Der ist uns gestohlen worden, vor zweihundert Jahren, als man die Gemeinschaft der Templer zerstörte. Doch das war nur das äußere Bild. Es gab und gibt immer noch genug von uns, die das Wissen weiter tragen. Wissen kann man nicht zerstören. Was der Mensch einmal gedacht hat, geht nie mehr verloren. Aber es kann versteckt, verleugnet, bekriegt, belächelt werden. – Und du gehörst ebenfalls zu uns, denn du warst schon einmal unser Bruder.“
„Ich verstehe dich nicht.“
„Nein? Wirklich nicht? Damals hieß ich anders. Aber auch da war ich ein alter Mann – zumindest für dich.“ Der Alte lächelte wieder. „Aber lassen wir das. Ich erkläre dir die Zeichen.“


Ach, warum brach es an dieser Stelle ab? Dieser Alte, das musste der alte Templer sein, der Jacques an Armand verwiesen hatte. Aber was wusste Giorgio schon von Jacques, Armand und jenem Alten?
Was mich aber faszinierte, war die Tatsache, dass Giorgio ihn anscheinend gemalt hatte, ehe er ihm begegnete.
Ich hoffe, es wird die Zeit kommen, da ich erfahren darf, was dieser Bertrand Giorgio erklärt hat.

Die Macht der Feder

Als André nach Paris kam, wusste er noch nicht, dass er bis zu seinem Lebensende hier bleiben würde. Früh war sein Talent erkannt worden, seine flammenden Artikel hatten seine Lehrer gleichzeitig erschreckt und begeistert. Einer von ihnen hatte ihm geraten, nach Paris zu gehen – als Journalist. Seine Mutter hatte ihm Geld mitgegeben und Marthe, die ihm als Haushälterin dienen sollte. Selbst sein Vater, den er nie gesehen hatte, hatte einen nicht unwesentlichen Betrag zur Verfügung gestellt.
Zu Beginn war es nicht einfach gewesen. André lag es überhaupt nicht, flammende Reden zu halten. Er brauchte dieses sinnliche Erlebnis von Papier, Feder und Tinte. Dann löste sich das erlebte Elend in flammende Artikel auf. Das kleine Vermögen reichte für seine bescheidenen Bedürfnisse. Nicht drohende Armut ließ ihn so manchen Tag fürchten, sondern die Polizei, die nicht tatenlos seinem Treiben zusah und vor der er oft genug fliehen musste.
Das änderte sich, als er Ambrose kennen lernte. Seine Zeitung wurde geduldet. Und er bezahlte sogar die Leute, die für ihn schrieben. Er schien reiche Gönner und Beschützer zu haben, doch André fragte nicht danach. Zu schreiben gab es genug. Kein Tag verging, an dem er nicht irgendwelche Missstände entdeckte, die ihn aufregten und anfangs bittere und böse Worte finden ließen. Mit der Zeit veränderte sich das. Ihm wurde klar, dass die Adeligen blind in ihr Unglück rannten, wenn sie so weitermachten. André versuchte, den Menschen, die sich wehren wollten, Argumente an die Hand zu geben. Seine Texte wurden in ihrer Wortwahl subtiler, hin und wieder ironisch oder gar sarkastisch. Und er zeigte immer wieder auf, wo dies alles hinführen musste, wenn sich nichts änderte.
Durch Ambrose lernte er Lucien kennen, ein Mitglied des niederen Adels, mit tadellosen Manieren aber einem scharfen Blick. Seine erste Begegnung mit ihm mündete in ein Gespräch über seinen letzten Artikel, der Lucien begeistert hatte.
Anfangs fragte sich André, ob denn Lucien nicht bemerkte, dass er auch dessen Grundlage zu zerstören suchte. Doch das war diesem sehr wohl bewusst.
„Wenn wir nichts ändern, wird es zu einer Katastrophe kommen“, hatte er zu André gesagt. „Und ich hoffe, dass Ihre Texte meine Standesgenossen, ja wenigstens ein paar wenige, wachrüttelt.“ Und er machte André klar, dass es gar nichts brachte, wenn man den Armen Geld geben würde.
„Sie wüssten nichts damit anzufangen und würden sich nur besaufen“, hatte Lucien gemeint und André hatte ihm seufzend zugestimmt.

André blickte sich staunend um. Lucien hatte ihn hier eingeführt. Der Raum war groß und kostbar eingerichtet, doch es fehlte jeglicher übertriebene Luxus. Am meisten faszinierte ihn der riesige Teppich an der Längswand, auf dem seltsame Muster und Zeichen abgebildet waren. Sein Gastgeber hatte ihn den Männern am Tisch vorgestellt und bald waren sie in eine engagierte Diskussion geraten. Sie zeigten alle den gleichen Scharfblick wie Lucien und das gleiche Verantwortungsbewusstsein, das André beim Adel sonst nie bemerkt hatte. Einige der Teilnehmer waren reiche Bürger: Kaufleute, Bankleute und Unternehmer.
„Nun mein Lieber“, Luciens Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen. „Was starren Sie so auf den Teppich? Fasziniert er Sie?“
„Ja.“
„Dann werde ich Sie demnächst mit dem Hersteller bekannt machen. Er ist heute Abend nicht anwesend. – Werden Sie die Artikel für uns schreiben?“ Lucien blickte ihn forschend an.
„Ja“, André zögerte. „ich glaube, es ist wichtig.“
„Und ob es wichtig ist. Wenn sich nicht bald etwas tut, wird Frankreich in einem Blutbad untergehen. In einzelnen Provinzen ist es schon zu Todesfällen gekommen. Und wir wissen, dass sich ein paar Abenteurer zusammengeschlossen haben. Denen geht es weder um Frankreich noch um die Menschen, sondern nur um ihre eigene Macht. Werden Sie für unsere Politiker die Reden schreiben?“
„Ich kann keine Reden halten.“
Lucien lachte. „Das sollen Sie auch nicht. Schreiben – hatte ich gesagt. Reden tun wir schon selbst. Aber Ihre Argumentation ist unübertrefflich.“
André verbeugte sich dankend.
„Auch wenn sich bald etwas ändert, wird es noch schlimm genug“, fuhr Lucien leiser fort. „Ach, die meisten Menschen sind so dumm, sie sehen nicht von hier bis da.“
„Wohl wahr.“
„Und das gilt für die armen Menschen ganz genauso. – Nun, kommen Sie zum Buffet, solange es noch Essen gibt, sollten wir nicht darauf verzichten. Davon wird kein Armer satt.“
André blickte ihn überrascht an.
„Sie meinen doch, auch wir ließen es uns hier zu gut gehen, nicht wahr?“ Jetzt war Spott in Luciens Stimme.
„Nun ja.“
„Aber wenn wir hungern, können wir keinem helfen. Auch Sie nicht. Also kommen Sie.“

Diesen Lucien kannte ich schon. Ich wusste sogar, wer er war – ich meine, in den anderen Leben, er hatte mal Armand geheißen aber auch Beatrice. Und dass André Journalist war, wusste ich schon sehr lange. Aber das mit den politischen Reden war mir neu.
Diesen Teppich hatte ich auch schon wahrgenommen. Mich erinnerte er an die Ritualdecken von Peter Winter im Augsburg der Fuggerzeit. Aber was wusste André schon von Peter Winter. Doch die Zeichen und Muster hatte er anscheinend intuitiv wieder erkannt. Und nun sah ich auch, dass sie ähnlich denen waren, die Armand Jacques gezeigt hatte und die Giorgio immer wieder malte und dann zu verstecken suchte. Und jetzt plötzlich ging mir auf, dass sie es waren, die André halfen, zu dieser ihm fremden Gesellschaft Vertrauen zu fassen. Zwar hatte er auch Ambrose unter den Männern entdeckt. Aber weder Ambrose noch Lucien waren seine engen Freunde. Er hatte nur einen einzigen Freund: Pierre, Journalist bei Ambrose wie er, und in späteren Jahren sein Liebhaber. Doch das konnte er an diesem ersten Abend bei jenen Männern noch nicht wissen.
Ich spürte jetzt, dass André eine misstrauische Ader hatte. Wahrscheinlich daraus entstanden, dass er nirgendwohin gehörte. Der einzige Mensche, dem er vertraute, war Marthe, die Freundin seiner Mutter und eine Art Mutterersatz in Paris.
André hatte früh gelernt, nur sich selbst zu vertrauen. Dabei tat er das alles nicht, weil er Angst um sein Wohlergehen oder sein Leben hatte. Beides schätzte er sehr gering. Aber er glaubte, eine Aufgabe zu haben, und die wollte er nicht verraten. Und das war es auch letztendlich, was ihn dazu brachte, diese Männer immer wieder aufzusuchen und ihnen mit seinen Texten Munition zu liefern – verbale Munition.
Und dann passierten zwei seltsame Dinge, nahezu zeitgleich. Und André brauchte eine Zeit, um zu verstehen, dass sie etwas miteinander zu tun hatten.

Ich sehe André, wie er sich zusammen mit einem alten Mann über ein Blatt Papier beugt. Oh, das ist ja der Alte aus Giorgios Bild, jener Bertrand, und der alte Pater, der so gut zu Jacques war. Auch dieser hier ist alt und wirkt sehr sanft. Er lächelt jetzt André an, diesen großen dunklen Mann, immer in Schwarz gekleidet und seine schwarzen Haare stets ohne auch nur einen Hauch von Puder.
Auf dem Papier sind Zeichen und Muster zu erkennen. Ich nehme die Blume des Lebens wahr, die platonischen Körper, Dreiecke, Rechtecke, Fünfecke, Sterne, fremde Schriftzeichen und dazwischen Bilder aus der Natur, Blüten, Schneckenhäuser und Vögel.
André wirkt ernst aber auch eifrig. Immer wieder blickt er den Alten an. Ich höre zwar kein Wort, aber ich spüre die Begeisterung des dunklen Mannes und dann auf einmal etwas wie eine Frage. Was soll das alles jetzt? Es ist doch schon viel zu spät.
Der Alte sieht ihn an, schüttelt lächelnd den Kopf und ich höre – obgleich keiner ein Wort spricht: „Es ist nie zu spät!“
André geht benommen nach Hause. Er versteht diese Männer nicht. Endlich haben sie ihn zu diesem weisen Alten gelassen und nun wollen sie nichts mehr mit ihm zu tun haben.
In der Nacht geschieht es zum ersten Mal, dass er diesen entsetzlichen Traum hat. Er wird ihn von nun an nahezu jede Nacht quälen. Er sieht Blut, abgeschlagene Köpfe, eine zerstörte Bastille und er hört die Schreie der Menschen. André ist verzweifelt, aber er erzählt niemandem davon – nicht einmal Pierre. Er ahnt, dass er einen Blick in die Zukunft getan hat.

Ich weiß, dass er die französische Revolution gesehen hat. Und nun weiß ich, dass ich noch eine Aufgabe habe: ich werde ihm zeigen, was heute daraus geworden ist. Nicht all die Kriege, die es noch gegeben hat. Nein, das heutige Europa. Und ich werde ihm zeigen, dass dies alles einen Sinn hatte.
Aber ich weiß jetzt auch, warum ich mich früher so scheute, das zu Papier zu bringen, was mich wirklich bewegte. Ich habe die Macht der Feder kennen gelernt.

Intermezzo

Ich nehme die drei Männer – Jacques, Giorgio und André – wahr wie ein Dreieck. Derjenige, der an der Spitze steht, wird von den beiden anderen, denen an der Basis, unterstützt. Und so helfen sie sich gegenseitig. Das Bild verändert sich und zeigt mir, dass dies nur ein Ausschnitt aus einem größeren Bild ist.
Alle drei – und ich nenne nur sie, weil ich es hier deutlich sehen durfte – lernten die Verbindung zu den Sternen kennen, auch wenn sie sich dessen nicht voll bewusst waren. Die liebevollen Wesen von Sirius, Aldebaran und Orion nehme ich ebenfalls wahr. Ich hatte mal geglaubt, sie seien meine Geschwister, doch nun weiß ich, dass sie Ausdrücke der gleichen Seele sind wie ich – oder André oder Giorgio oder Jacques oder …
Sie halten für uns hier unten auf der Erde die Energien. Für einen Moment erhaschte ich einen Blick auf sie, der sie mir in ihrer wahren Gestalt zeigt. Die Menschengestalten, die ich bisher wahrnahm, haben sie nur angenommen, damit es mir leichter fiel, sie zu akzeptieren. Nun spüre ich sie wie einen wärmenden, schutzspendenden Umhang um mich, fühle ihre Fürsorge, ihre liebevolle Unterstützung. Und ich weiß, dass sie dann eingreifen, wenn es zu meinem/unserem besten Wohle ist.
Die Unterstützung kann aus irdischer Sicht auch als unangenehm empfunden werden. In dem Moment, da ich dies erkenne, sehe ich die seltsamen Gestalten, die Giorgio so vorsichtig versteckt hat. Andere Maler haben sie wesentlich deutlicher gezeigt.
Mir wird bewusst, dass ich genauso gut andere Ausdrücke von mir hätte beobachten können. Doch anscheinend hatte es einen tieferen Sinn, dass es genau diese drei Männer waren, so wie nun drei Frauen folgen werden. Auch sie haben noch Informationen für mich, die ich vorher nicht gesehen habe, obgleich ich sie alle drei schon kannte: Tamar, Sviga und Gotlindis.

Die Bilder der Zigeuner

Vor vielen Jahren war sie mit ihrem Vater in die Kolchis gezogen, in jenes Land, aus dem ihre Mutter stammte. Doch nun war ihr Vater tot und Rewaz, der Mann, den sie liebte, lag im Sterben. Tamar wusste, dass sie ihm nicht helfen konnte. Obgleich sie wieder zurück in das Dorf wollte, in dem sie als Kind gelebt hatte, blieb sie doch. Sie wollte mit ihrer Abreise warten, bis er seinen Körper verlassen hatte.
Ich hatte Tamar schon öfter gesehen, in Träumen und schamanischen Reisen. Ich wusste, dass sie nicht alt geworden war und in den Flammen ihres Hauses umkommen würde. Dieser Rewaz hatte sich erst spät gezeigt. Nun konnte ich die beiden beobachten, die anscheinend fest entschlossen waren, diese letzten Tage ihres Beisammenseins so schön zu gestalten, wie es nur irgend möglich war.

„Wie fühlst du dich?“, Tamar strich leise über Rewaz Stirn, die vom Fieber glühte.
„Besser“, seine Stimme war nur noch ein Flüstern. „Rani war hier.“
„Wer ist Rani?“ Tamar fuhr nun sanft mit einem feuchten Tuch über sein Gesicht.
„Habe ich dir nie von ihm erzählt? – Er ist ein Zigeuner. Weiß du, das sind wundervolle Menschen, auch wenn die anderen oft abfällig über sie reden.“
„Ich weiß. Mein Vater ist lange mit Zigeunern zusammen gewesen. – Was ist mit diesem Rani?“
„Er hilft mir. Wenn er bei mir war, habe ich keine Schmerzen mehr.“
„Oh, das ist wundervoll. Ich würde ihn gerne kennen lernen.“
„Er kommt morgen wieder.“

Ich konnte sehen, dass dieser Rani am nächsten Tag, als er Rewaz besuchte, Tamar begegnete. Ich hatte gedacht, er sei ein alter Mann. Denn ich spürte, dass Rani der gleiche wie Bertrand und die beiden anderen alten Männer war, die André, Giorgio und Jacques gelehrt hatten. So wie ich auch wusste, dass Rewaz, Armand, Beatrice und Lucien zusammengehörten. Doch Rani war kaum älter als Rewaz.
Er bedeutete Tamar, dass er mit ihr sprechen wollte. Dann folgte bald Rewaz Tod und Tamars Entscheidung, mit Ranis Stamm auf den Balkan zurückzukehren. Nun zeigte sich mir, dass diese Menschen anders waren, als ich gedacht hatte, schnell erfuhr ich auch, dass dies ein besonderer Zigeunerstamm war – hoch angesehen bei den anderen Sippen, da sie altes Wissen hüteten. Und Rani, so jung er noch war, wurde geehrt wie ein alter weiser Mann.

„Ich habe auf dich gewartet“, meinte Rani zu Tamar. Sie waren nun schon seit Wochen unterwegs. Inzwischen war die Trauer um ihren Vater und um Rewaz nur noch eine sanfte Melancholie. Sie blickte zu ihm auf. „Ja?“
„Ich habe dich etwas zu lehren. Deshalb sind wir uns bei Rewaz begegnet. Wir kennen uns schon seit ewigen Zeiten: Du, Rewaz und ich. Und wir werden uns noch oft begegnen. Aber darum geht es nicht.“
„Oh, so leben wir mehr als einmal?“, fragte Tamar.
„Ja.“
„So werde ich auch Rewaz wieder begegnen?“
„Noch oft.“
Sie seufzte tief auf, dann lächelte sie. „Was wolltest du mir sagen?“
„Zeigen. Komm, ich habe schon alles vorbereitet. Wir werden eine zeitlang hier an dem Ort bleiben. Das ist günstig. Denn ich brauche etwas Zeit.“

Ich war gleichzeitig Tamar und beobachtete sie. Rani hatte Karten ausgebreitet mit seltsamen Bildern.
„Mache deinen Blick ganz weich, schau die Karten an, als wolltest du in sie hineinspazieren. Und dann lass geschehen, was geschehen will.“
Ranis Stimme war leise und eindringlich. Dann geschah Seltsames. Ich landete in den Bildern, ohne sie zu sehen. Ich spürte Tamars Erregung und Begeisterung, ohne erkennen zu können, was sie so erregte. Und dann brach alles ab.
„Später.“
Wer hatte das gesagt? Rani, Tamar, irgendjemand anders?

Rani lehrte Tamar noch mehr. Mit Freude stellte er fest, dass sie schon einiges über die Anwendung von Kräutern wusste. Doch nun zeigte er ihr auch, wie sie mit ihrer Stimme und bestimmten Worten einem Kranken die Schmerzen nehmen konnte. Und immer wieder saß sie vor den Bildern. Und dann hörte ich Sätze, die ich schon einmal gehört habe.
„Lebe es, ohne darüber zu sprechen. Wir bewahren nicht nur für die, die jetzt leben, sondern auch für alle in anderen Zeiten. Denn für unsere Seelen gibt es keine Zeit.“
Oh, das war doch genau das, was Jacques erfahren hatte. Kurze blitzartige Szenen deuteten darauf hin, dass Rani die Bilder ähnlich verwendete, wie spätere Zigeuner die Tafeln von Chartres. Nur die Muster und Zeichen waren andere. Und Tamar sollte sie nicht berühren – wie es Jacques tun sollte – sondern anschauen.
Als sie den Stamm verließ, schenkte Rani ihr einen Stoß Karten, auf denen all jene Bilder abgebildet waren. Als sie sich verabschiedeten, nahm er sie in den Arm. Er hielt sie eine ganze Weile so fest und sie spürte, wie seine und ihre Energien für einen Moment wie in einer Art Tanz umeinander wirbelten. Als er sie losließ, spürte sie eine Ruhe und einen tiefen Frieden, die sie bis zu ihrem Tod nicht mehr verlassen sollten.

Rot und Schwarz

Sie verbrachte jetzt schon mehrere Tage in den Wäldern nördlich ihres Heimatdorfes. Die Schamanin ihres Stammes hatte sie als Nachfolgerin bestimmt und eingeweiht. Nun war es Svigas Aufgabe, für eine Weile ganz allein und auf sich gestellt hier zu leben.
Es war Sommer und so war es nicht schwierig, Essbares zu finden. Die Geräusche des Waldes waren ihr vertraut und die Wege und Stege ebenfalls.

Die Gegenwart der fremden Frau bemerkte sie erst nach einer ganzen Weile. Kein Geräusch hatte ihr Kommen verraten. Sie sah anders aus als alle Menschen, die Sviga kannte. Ihre Haare waren dunkel, fast schwarz, ihre Augen ebenfalls. Sie war klein und wirkte alterslos.
„Ich habe auf dich gewartet, Sviga“, meinte sie nun. Und Sviga wunderte sich, dass diese Fremde ihre Sprache so vollkommen beherrschte.
„Ja?“
„Ich wollte dir mein Wissen weiter geben. Du bist doch die Schamanin eures Stammes, nicht wahr?“
„Noch nicht.“
Die Fremde lächelte. „Nein, aber bald. Diese Zeit wollte ich nutzen. Bist du bereit?“
„Wer bist du?“
„Mein Name wird dir nichts sagen. Ich gehöre nicht zu deinem Volk, wir leben weiter nördlich. Aber ich habe Wissen, das für dich wichtig ist. Und wir kennen uns – aus anderen Zeiten.“
„Ach so. – Nun ich bin bereit.“

Ich konnte wahrnehmen, wie Sviga dieser Frau folgte. Ich „sah“ die Verbindung der Fremden zu Rani, Bertrand und den anderen alten Männern. Für einen Moment fragte ich mich, ob ich in diesem Leben ebenfalls dieser Seele begegnet bin. Die Antwort war seltsam: „Ja und nein.“
Und dann verstand ich. Ich begegnete ihr nie in der normalen Realität – was auch immer das ist. Aber sie lehrte mich in Träumen und schamanischen Reisen. Und nun weiß ich, dass ich über meine Ausdrücke, die sie kennen lernten, alles erfahren kann, was ich wissen muss.
Sviga folgte dieser Frau damals weiter nach Norden. Sie lernte vor allem bei ihr die dunkle Seite des Lebens kennen.

„Es gibt einen roten Weg und einen schwarzen Weg. Der rote ist der Weg des Lebens und des Blutes. Es ist euer irdischer Weg. Auf diesem lernst du die Kräuter kennen, die Wunden schließen, Schmerzen lindern und körperliche Krankheiten heilen. Der schwarze Weg ist der der Dunkelheit. Manche behaupten, es sei der Weg des Bösen. Doch das stimmt nicht. Es ist eher der Weg des Todes. Aber manchmal musst du ihn gehen, um anderen Menschen helfen zu können. Es gibt Menschen, die verirren sich auf diesem dunklen Weg. Denn er übt auf sie eine seltsame Faszination aus. Wenn du diesen Weg nicht kennst, wirst du ihnen nie helfen können. Ich bin gekommen, dich diesen schwarzen Weg zu lehren.“

Oh, so war das also. Ich sah, wie Sviga lernte, mit schwarzen Vögeln zu arbeiten, vor allem Krähen. Sie lernte, dass diese die Hüter und Führer dieses schwarzen Weges sind. Ich nahm auf jenem schwarzen Weg „verlorene“ Seelen wahr und beobachtete, wie Sviga das lernte, was ich als Seelenrückholung kenne. Und dann durfte ich noch eine Art Abschlusszeremonie beobachten.

Die fremde Frau nahm Svigas Hände – und ich spürte, es waren auch meine. Dann tauchte sie ihren Finger in eine rußige, schwarze Masse und zeichnete auf Svigas linke Handinnenfläche eine schwarze Sonne und einen schwarzen Mond. Mit einem Finger ihrer anderen Hand tauchte die Frau in eine rote Masse. Ich wusste, dass darin Blut von Sviga und jener Frau enthalten war. Sie zeichnete auf Svigas rechte Hand eine rote Sonne und einen roten Mond. Dann zeichnete sie auf beiden Händen gleichzeitig etwas, das für mich wie eine liegende Acht aussah, so, dass sich in einem Kreis die Sonne und in dem anderen der Mond befand. Nun vermischte sie rot und schwarz und zeichnete damit in beide Handflächen einen Kreis, der alles einschloss.

„Mögen die Wege von nun an miteinander verbunden sein“, hörte ich sie murmeln.

Was war das? Ich hatte schon früh erkannt, dass diese Frau zu dem Volk gehörte, dass wir heute als Samen oder Lappen bezeichnen. Ich wusste schon seit einiger Zeit, dass ich zu ihnen eine besondere Beziehung habe. War das die Erklärung?
Ich hatte schon vorher Sviga als Schamanin arbeiten sehen. Jetzt konnte ich erkennen, dass sie tatsächlich die beiden Wege dabei vereinte. Und dann wurde mir klar, dass es meine Aufgabe ist, daraus einen dritten Weg entstehen zu lassen. Einen Weg, der die beiden anderen einschließt, aber darüber hinausgeht. Es ist der Weg des fluoreszierenden Weiß.
Und obgleich es mich zuerst verwirrte, dass ich nicht die Balance zwischen hell und dunkel herstelle, wie ich bisher immer gedacht hatte, sondern die zwischen rot und schwarz, fühlt es sich doch richtig und stimmig an.

Der Heilige Berg der Kelten

Gotlindis hätte es nicht geglaubt, dass sie noch einmal zu diesem Heiligen Berg zurückkehren würde. Sie war an seinen Hängen zur Welt gekommen. Ihre Mutter hatte den alten Göttern abgeschworen und sich dem neuen Christengott zugewandt. Gotlindis hatte nichts gegen ihn einzuwenden, sehr wohl aber gegen seine menschlichen Vertreter. Und so hatte sie sich immer wieder mit ihrer Tante getroffen, einer Cousine ihres Vaters, die der Großen Göttin diente.
Ohne dass ihre Mutter etwas davon ahnte, war sie in die Lehren der Großen Mutter eingeweiht worden. Schon bald begleitete sie ihre Tante, wenn die heilkräftige Kräuter sammelte. Und immer wieder kehrte sie an diese Orte der Kraft zurück, die es hier in großer Anzahl gab.
Doch dann brach diese schreckliche Epidemie aus, die Tante starb, ebenso Gotlindis älteste Schwester, die nach dem Gebot der Mutter in das Kloster der heiligen Odilia sollte, um dort als Nonne dem Christengott zu dienen.
Gotlindis hatte keine Möglichkeit sich zu widersetzen, die Mutter schickte sie als Ersatz für die verstorbene Schwester.
Nur wenige Jahre hatte sie es dort ausgehalten, dann war sie geflohen, zusammen mit dem Mann, dessen Kind sie auf Befehl der Nonnen hatte töten müssen.
Damals hatte sie geglaubt, dass sie weder den Berg noch die heimatliche Landschaft je wieder sehen solle. Doch nun, da sie schon alt war und ihr Gefährte tot, tauchte diese Frau auf, ebenso alt wie sie selbst, und sagte ihr, dass sie ihr noch etwas zeigen müsse. An jenen Hängen der Vogesen, dort, wo all die vielen alten Kultplätze waren. Und Gotlindis wusste, dass sie weder sich diesem Wunsch widersetzen wollte noch ihm widerstehen konnte. Zu sehr lockte sie dieses vertraute Land. Es gab niemanden mehr, der sie erkannt hätte, und selbst wenn, was sollte ihr schon geschehen.
So folgte sie dieser Frau, die fremd und doch seltsam vertraut war.

Oh, ich hatte gedacht, Gotlindis sei nach Dagomars Tod sogleich an den Südhang des Schwarzwaldes zurückgekehrt. Dorthin, wo Dagomars Neffe lebte, den sie damals gemeinsam großgezogen hatten.
Was wollte diese alte Frau Gotlindis zeigen, und wer war sie?
Nun ja, ich hätte es mir denken können. Es war wieder dieses Wesen – Bertrand, Rani oder auch namenlos – anscheinend immer aus dem Nichts auftauchend. Ich hatte ja schon gewusst, wer Gotlindis Tante war – auch sie in anderen Leben auftauchend, als Armand, Lucien – scheinbar gehörten die beiden irgendwie zusammen. Oder bilden für uns beide eine Art Verbindung, oder Katalysator.
Ich folge Gotlindis, sehe aber nur durch einen dichten Nebelschleier, wie sie zu diesen alten Kraftplätzen geht, sie wie liebe alte Bekannte grüßt. Ich spüre, dass sie noch mehr erlebt, aber das entzieht sich mir.
Ich verstehe, ich muss noch warten. Denn in gut zwei Wochen werde ich selbst dort sein. Endlich werde ich diese alten Kraftplätze aufsuchen. Und nun verstehe ich auch, dass alles bisher Gesehene und Wahrgenommene eine Art Vorbereitung ist. Und mir wird klar, dass, wenn ich dies hier fertig geschrieben habe – was vor der Reise sein sollte – und ich die Reise gemacht habe, noch eine Art Nachsatz kommen wird. Über das, was ich vor Ort erlebt habe.

Unterstützung von den Sternen

Es war ein eigentümliches Erlebnis: die schamanische Reise, die dies alles initiiert hat, die Bilder während des Schreibens, so manches Mal aber auch, wenn ich ein Kapitel beendet und das nächste noch nicht begonnen hatte. Dann nahm ich immer schon Teile wahr.
Je weiter ich mit meinem Text kam, desto mehr spürte ich, dass da für mich noch sehr viel mehr ist, das auf mich wartet. Es ist so, als hätte mir jemand Handwerkszeug in die Hand gegeben. Jetzt ist es meine Aufgabe, dies zu nutzen.
Ich weiß nun, wo ich Hinweise finden kann, wie ich sie finden kann und bei manchem auch, was sie mir sagen wollen. In St. Odile wird mir so einiges klarer werden und jetzt weiß ich auch, warum ich plötzlich das Bedürfnis hatte, dorthin zu reisen.
Nun sehe ich aber noch etwas anderes und dieses Bild werde ich mit nach St. Odile nehmen.
Ich sehe einen riesigen Diamanten mit Tausenden von Facetten. In der Mitte ruht die Seele, jede Facette ist ein Ausdruck, die äußeren Facetten sind die Ausdrücke auf der Erde, die anderen, näher zur Mitte, die auf anderen Systemen dieses Alls (Sirius, Orion, Aldebaran und Venus sind nur Teile davon), und ganz nah an der Mitte solche, die in gänzlich anderen Welten existieren.
Doch der Diamant ist nicht starr, sondern er bewegt sich und verändert sich ständig. Dadurch wechseln auch die Positionen der Facetten. Nun nehme ich viele weitere Diamanten wahr, ähnlich aufgebaut wie meiner. Oft berühren sie sich, manchmal scheinen zwei zu verschmelzen, dann tanzt alles umeinander. Wenn sie sich lösen, ist jede Facette in dem Diamant, zu dem sie gehört, doch sie hat sich verändert.
Alles ist ständig in Bewegung. Und nun nehme ich wahr, dass die Bewegungen Töne erzeugen, jeder Diamant eine andere Folge von Tönen. Alles zusammen ergibt eine wundervolle Sinfonie, ein buntes Bild aus Tönen und eine Rhapsodie aus Farben.
Und ich spüre, dass ich sowohl Teil dieses Diamanten bin als auch ihn in meinem Inneren beherberge.

Es wird noch ein Epilog folgen. Doch diesen kann ich erst schreiben, wenn ich in St. Odile war. Am 19. Juni ist es so weit. Dann bin ich für vier Tage dort - am Heiligen Berg der Kelten.

Ich hatte schon vorher so eine Ahnung, dass dort etwas ganz besonderes auf mich wartet. Nun, nach dieser besonderen schamansichen Reise und diesem ungewöhnlichen Akt des Schreibens, weiß ich es, spüre es, bin regelrecht davon durchdrungen. Aber ich habe keine Ahnung, was es ist.

Während des Schreibens hörte ich immer wieder: das ist mein Vermächtnis. Irgendwann fragte ich mich: Vermächtnis für wen? Für die Welt? Ich weiß es nicht. So sage ich nur: Vermächtnis für die, die es annehmen mögen.

Und da ich dies so stark spürte, habe ich beschlossen, dieses kleine Büchlein als pdf-Datei zu verschenken. Wer also eines haben möchte, braucht sich nur bei mir zu melden. Allerdings versende ich es erst dann, wenn auch der letzte Teil geschrieben ist.

In Liebe

Apfelblüte - Ursula

Wenn ich aus St. Odile zurück bin und den restlichen Text geschrieben habe, werde ich es hier kundtun. Wer es dann haben mag, kann sich bei mir melden.

Und freut mich liebe Monika, wenn es dich freut

Liebe Grüße

Apfelblüte - Ursula

Liebe Ursula,
ich hab deine Texte im Augenblick nur "überflogen" - nicht aus Respektlosigkeit, sondern, weil ich im Moment viel zu schlaff bin, ich lese und hab am Ende des Satzes schon wieder vergessen, wie der Anfang war

Nichts desto trotz freue ich mich immer, von dir zu lesen und wünsche dir ganz viel Freude in St. Odile,
einen extragroßen Big Hug für dich, Marion

Zitat

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Nichts desto trotz freue ich mich immer, von dir zu lesen und wünsche dir ganz viel Freude in St. Odile,
einen extragroßen Big Hug für dich, Marion

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Ich schließe mich Marion an, liebe Apfelblüte!

Mein Aufnahmevermögen ist etwas gering gerade. Ich komme mir vor, als würde ich zu mir selbst ganz intensiv hingezogen. Doch da es allgemein hier recht ruhig ist, denke ich, bin ich damit wohl nicht allein...

So, ich bin aus St. Odile zurück. Es war tatsächlich so, wie ich dachte, es meldete sich einiges, aber ich benötige noch etwas Zeit, alles zu verarbeiten und zu beschreiben. Und so, wie ich mir das im Moment vorstelle, gibt es an zwei Stellen Hinweise. Einmal hier der Rest des Büchleins und an anderer Stelle eine kurze Reisebeschreibung mit Bildern. Eben habe ich erst einmal ausführlich geduscht und anschließend etwas Gutes gegessen.

Dann bis bald - und hier schon mal eines der Bilder.

[attachment=0]Wasserfall 2 klein.jpg[/attachment]

Diese Stelle war nicht im Programm vorgesehen, aber für mich fast die wichtigste. Links von der Brücke sah ich, als wir darauf zugingen, ein Haus stehen und wollte schon fragen, wer denn auf die Idee kommt, an der Stelle zu bauen. Äh ja, da war ich in die falsche Zeit gerutscht. Mehr dazu demnächst.

Alles Liebe

Apfelblüte - Ursula

Und für die, die es wissen wollen: der Wasserfall ist am Ortsrand von Le Hohwald. Das war unser Standort.